Jäger und Sammler – Neukunden und Bestandskunden richtig betreuen
Der Rollenkonflikt: Wenn ein Vertriebler alles machen soll
Bei der ElektroTech GmbH, einem mittelständischen Zulieferer, gibt es seit Jahren Zwist im Vertrieb: Die Vertriebler, die neue Kunden akquirieren, beklagen, dass sie nach Vertragsabschluss die Kunden "abgeben" müssen und keine Provision mehr sehen. Die Kollegen im Innendienst wiederum – zuständig für Bestandskunden – fühlen sich übergangen, wenn "ihre" Kunden von Außendienstlern betreut werden.
Kurz: Unklare Zuständigkeiten zwischen Neukunden-Akquise (Hunter) und Bestandskunden-Betreuung (Farmer) führen zu Konflikten. Der neue Vertriebsleiter entscheidet sich, klar Schiff zu machen: Er führt das klassische Hunter-Farmer-Modell ein. Ein Team fokussiert sich ausschließlich auf die Jagd nach neuen Kunden, ein anderes auf Pflege und Ausbau der bestehenden Kunden.
Schon nach einem Quartal berichten beide Teams von besserer Fokussierung und weniger Reibereien.
Das Hunter-Farmer-Konzept: Spezialisierung für Erfolg
Definition der Rollen
Das Hunter-Farmer-Konzept trennt die Aufgaben von Neukundengewinnung und Bestandskundenmanagement auf verschiedene Rollen oder Teams:
Hunters ("Jäger"):
- Extrovertierte Akquisiteure mit Jagdinstinkt
- Spezialisiert auf Kaltakquise und Erstgespräche
- Fokus auf neue Geschäftsabschlüsse
- Erfolgsgetrieben und abschlussorientiert
- Ziehen nach Deal-Abschluss zum nächsten Prospect weiter
Farmers ("Bauern/Sammler"):
- Beziehungsorientierte Betreuer mit langfristigem Fokus
- Spezialisiert auf Kundenpflege und -entwicklung
- Fokus auf Cross-/Up-Selling und Kundenbindung
- Serviceorientiert und geduldig
- Sorgen für hohe Kundenzufriedenheit und -loyalität
Warum die Trennung Sinn macht
Die beiden Tätigkeiten erfordern unterschiedliche Fähigkeiten und Mindsets:
Aspekt | Hunter (Neukunden) | Farmer (Bestandskunden) |
---|---|---|
Hauptziel | Neue Kunden gewinnen, Abschlüsse tätigen | Kunden binden, Folgegeschäfte generieren |
Aktivitäten | Kaltakquise, Produkt-Präsentationen, Angebotserstellung | Kundenservice, Bedarfsermittlung, Up-/Cross-Selling |
Erfolgs-KPIs | Anzahl Neukunden, Akquise-Calls, Abschlussquote | Kundenbindung (Retention), Wiederkaufrate, Umsatz je Kunde |
Zeithorizont | Kurz-/Mittelfristig (Abschluss im Fokus) | Langfristig (Beziehung & Zufriedenheit im Fokus) |
Anreizsystem | Oft stärker variable Vergütung pro Abschluss | Variable oft an Kundenzufriedenheit/Umsatzwachstum |
Benötigte Stärken | Hartnäckigkeit, Jagdinstinkt, Abschlusssicherheit | Empathie, Zuverlässigkeit, Problemlöser-Mentalität |
Organisationsmodelle in der Praxis
Modell 1: Funktionale Trennung
Separate Teams nach Aufgaben:
- Business Development Team: Lead-Generierung und Erstqualifikation
- Sales Team: Neukundenakquise und Deal-Closing
- Account Management Team: Bestandskundenbetreuung und Expansion
- Customer Success Team: Onboarding und langfristige Zufriedenheit
Modell 2: Kundensegment-basierte Trennung
Aufteilung nach Kundentypen:
- New Business Team: Alle Neukunden bis 12 Monate nach Vertragsabschluss
- Growth Team: Etablierte Kunden mit Wachstumspotenzial
- Retention Team: Langfristige Stammkunden und Pflege
Modell 3: Hybride Ansätze
Flexible Rollenverteilungen:
- 70/30-Split: Mitarbeiter verbringen 70% der Zeit mit einer Rolle, 30% mit der anderen
- Seasonal Switching: Rollenwechsel je nach Quartal oder Marktlage
- Team-Selling: Hunter und Farmer arbeiten zusammen an Accounts
Der Übergabeprozess: Smooth Handoffs
Kritische Übergabepunkte definieren
Typische Übergabekriterien:
- Nach Vertragsunterzeichnung: Kunde wechselt sofort zum Account Manager
- Nach Go-Live: Erst nach erfolgreicher Implementierung
- Nach Probephase: Nach 3-6 Monaten Zusammenarbeit
- Bei Umsatzschwelle: Ab bestimmtem Jahresumsatz
Strukturierter Übergabeprozess
Die 5 Schritte einer erfolgreichen Übergabe:
- Vorübergabe-Meeting: Hunter und Farmer besprechen Account-Details
- Gemeinsamer Kundentermin: Persönliche Vorstellung des neuen Ansprechpartners
- Dokumentationsübergabe: Vollständige Account-Historie im CRM
- Warm-up-Phase: 30 Tage enge Zusammenarbeit zwischen Hunter und Farmer
- Feedback-Loop: Regelmäßiger Austausch über Account-Entwicklung
Erfolgsmessung: KPIs für Hunter und Farmer
Hunter-KPIs (Neukundenakquise)
KPI | Definition | Zielwert |
---|---|---|
Anzahl Neukunden | Gewonnene Neukunden pro Quartal | Je nach Team-Größe |
Lead-to-Customer Rate | % der Leads, die zu Kunden werden | 10-20% |
Sales Cycle Length | Durchschnittliche Zeit bis Abschluss | Branchenabhängig |
Average Deal Size | Durchschnittlicher Wert pro Neukunde | Steigerung +10% jährlich |
Pipeline Value | Wert der aktiven Opportunities | 3-4x Quartalsziel |
Farmer-KPIs (Bestandskunden)
KPI | Definition | Zielwert |
---|---|---|
Customer Retention Rate | % der Kunden, die Verträge verlängern | >90% |
Net Revenue Retention | Umsatzentwicklung bei Bestandskunden | >110% |
Cross-Sell-Rate | % der Kunden mit Zusatzprodukten | 25-40% |
Customer Satisfaction | NPS oder CSAT-Scores | NPS >50 |
Account Growth | Umsatzwachstum pro Account | +15% jährlich |
Vergütungsmodelle: Faire Incentives schaffen
Hunter-Vergütung
Struktur:
- Grundgehalt: 60-70% der Gesamtvergütung
- Variable Komponente: 30-40% basierend auf Neukundengewinnung
- Provisionsmodell: Linear oder progressiv nach Zielreichung
- Zusatzboni: Sonderziele wie strategische Accounts oder neue Produktlinien
Farmer-Vergütung
Struktur:
- Grundgehalt: 70-80% der Gesamtvergütung
- Variable Komponente: 20-30% basierend auf Account-Performance
- Metriken: Mix aus Retention, Upselling und Kundenzufriedenheit
- Langfrist-Incentives: Jahresboni für Account-Entwicklung
Implementation: Von der Theorie zur Praxis
Phase 1: Assessment und Planung
- Team-Analyse: Wer hat Hunter- vs. Farmer-Qualitäten?
- Kundensegmentierung: Welche Accounts brauchen welche Betreuung?
- Prozess-Design: Übergabeprozesse und Zuständigkeiten definieren
- KPI-System: Messbare Ziele für beide Rollen
Phase 2: Umstrukturierung
- Rollenzuweisung: Mitarbeiter ihren Stärken entsprechend positionieren
- Account-Übergaben: Bestehende Kunden neu zuordnen
- System-Anpassungen: CRM und Reporting auf neue Struktur ausrichten
- Vergütung anpassen: Neue Incentive-Strukturen implementieren
Phase 3: Optimierung
- Performance-Monitoring: KPIs regelmäßig überwachen
- Feedback-Sammlung: Von Mitarbeitern und Kunden
- Prozess-Refinement: Abläufe kontinuierlich verbessern
- Skills-Development: Spezialisierte Trainings für beide Rollen
Häufige Herausforderungen und Lösungen
Challenge 1: Silo-Mentalität
- Problem: Hunter und Farmer arbeiten gegeneinander statt miteinander
- Lösung: Gemeinsame Ziele, Team-Events, Cross-Training
Challenge 2: Komplexe Übergaben
- Problem: Kunden fühlen sich beim Wechsel vernachlässigt
- Lösung: Strukturierte Übergabeprozesse, persönliche Vorstellung
Challenge 3: Ungleiche Belastung
- Problem: Eine Rolle wird als wichtiger/wertvoller wahrgenommen
- Lösung: Faire Vergütung, Wertschätzung beider Rollen kommunizieren
Erfolgsfaktoren für das Hunter-Farmer-Modell
Organisatorische Erfolgsfaktoren
- Klare Rollenabgrenzung: Jeder weiß, wofür er verantwortlich ist
- Effiziente Übergabeprozesse: Nahtlose Customer Journey
- Integrierte Systeme: CRM und Tools unterstützen beide Rollen
- Regelmäßige Kommunikation: Hunter und Farmer tauschen sich aus
Kulturelle Erfolgsfaktoren
- Team Spirit: Beide Rollen werden als gleichwertig angesehen
- Customer Centricity: Kundenwohl steht über internen Befindlichkeiten
- Continuous Learning: Beide Teams lernen voneinander
- Shared Success: Erfolge werden gemeinsam gefeiert
Praxisbeispiel: Erfolgreiche Transformation
Ausgangssituation
Mittelständischer Software-Anbieter mit 25 Mitarbeitern im Vertrieb. Alle Vertriebler machen alles – von Kaltakquise bis Kundenbetreuung. Ergebnis: Stagnation bei Neukunden und sinkende Bestandskundenzufriedenheit.
Implementierung
- Team-Aufteilung: 60% Hunter (15 MA), 40% Farmer (10 MA)
- Account-Segmentierung: Accounts nach Potenzial und Betreuungsaufwand kategorisiert
- Neue Vergütung: Leistungsgerechte Incentives für beide Rollen
- Training: Spezialisierte Schulungen für Hunter und Farmer
Ergebnisse nach 12 Monaten
- +45% mehr Neukunden durch fokussierte Hunter
- +25% höhere Customer Retention durch bessere Betreuung
- +35% Upselling-Umsatz bei Bestandskunden
- +20% Mitarbeiterzufriedenheit durch klarere Rollen
Fazit: Spezialisierung als Erfolgsfaktor
Das Hunter-Farmer-Modell ist mehr als nur eine organisatorische Änderung – es ist eine strategische Neuausrichtung für nachhaltigen Vertriebserfolg. Durch die Spezialisierung auf Stärken entstehen Synergien, die den Gesamterfolg überproportional steigern.
Der Schlüssel liegt in der Balance: Beide Rollen sind gleich wichtig für den Unternehmenserfolg. Hunter bringen frisches Blut, Farmer sorgen für nachhaltige Profitabilität. Nur im Zusammenspiel entsteht eine schlagkräftige Vertriebsorganisation.
Bereit für die Optimierung Ihrer Vertriebsstruktur? Unsere Experten helfen Ihnen dabei, das optimale Hunter-Farmer-Modell für Ihr Unternehmen zu designen und erfolgreich zu implementieren.
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